Am 1. November 2014 empörten sich Wiener Tichy-Fans über den von Gerald Lehner in der Tageszeitung „Der Standard“ publizierten Bericht, in dem Tichys NSDAP-Verstrickungen und seine journalistischen Arbeiten für die Nazi-Presse beleuchtet wurden. Dr. Herwig Frisch, Dr. Hannes Pflaum und Dr. Verena Kienast bezichtigten Lehner der „schlampigen Recherche“. Was der Journalist und Autor dazu sagt, lesen Sie weiter unten nach den Zeilen des Trios vom Verein „Götterberge – Menschenwege“, der Tichy wie einen Superstar verehrt und propagiert.
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… In dem Artikel versucht Herr Lehner die herausragende Persönlichkeit Herbert Tichy in unqualifizierter Weise herabzuwürdigen. Er bezieht sich dabei auf eine „Studie“ der Universität Wien und auf den Geografen und Historiker Stanik. Vor 5 Jahren hat der Student Stanik eine Diplomarbeit zur Erlangung des Magister der Philosophie mit dem Titel „Der geopolitische Blick in den journalistischen Arbeiten von Herbert Tichy 1940 – 1944“ geschrieben, die Unterlagen dafür stammen großteils aus der Akademie für Wissenschaften in Wien. Soweit die „Studie“ zu dem Thema. Wie schlampig der Artikel recherchiert ist, zeigt sich exemplarisch an der Behauptung, Herbert Tichy wäre bereits 1932 Mitglied der NSDAP gewesen. Hätte der Autor die in vielen Teilen höchst spekulativ formulierte Diplomarbeit von Stanik etwas genauer durchgearbeitet, so hätte er selbst dort lesen können, dass Tichy „während dieser Alaskareise (1938/39) versuchte … eine Parteimitgliedschaft seit 1932 legitimieren zu lassen. Diesbezüglich ließ er seinen Vater, Dr. Hans Tichy, einen auf den 14. Juni 1938 datierten „Personal-Fragebogen zum Antragschein auf Ausstellung einer vorläufigen Mitgliedskarte und zur Feststellung der Mitgliedschaft im Lande Österreich“ ausfüllen. (Stanik 2009, Seite 39) 1941 wird Tichy als Berichterstatter für Europa nach Siam eingeladen, daraus werden kriegsbedingt 7 Jahre, die er in China, Indonesien, Thailand und der Mandschurei verbringt. Er verdient sich sein kärgliches Brot als Journalist für deutsche Zeitungen, was eine Mitgliedschaft bei der Reichsschrifttumskammer und der NSDAP zwingend erforderte.
Dazu Tichy: “Ich war froh, dass Peking den großen Ereignissen der Welt ihre Kraft und Bedeutung nahm, denn sie besaßen weder Schönheit noch Hoffnung. Ich war sehr glücklich in dieser Stadt.“ Über das Leben der „Deutschen“ in Peking berichtet Tichy, dass das Leben nicht leicht gewesen sei, wenn man keine hohe Meinung vom Tausendjährigen Reich hatte. Die Gestapo besaß im japanisch besetzten China eine gewisse Machtfülle und Unabhängigkeit. Besonders im Deutschen Klub musste man Begeisterung für das Reich und Japan zeigen. Tichy schreibt dazu: „Die „guten“ Deutschen hatten sich beim deutschen Botschafter beschwert, dass wir an der Volksgemeinschaft zu wenig Anteil nähmen.“ Tichy fand eine Entschuldigung. „Der Botschafter lächelte verständnisvoll, wahrscheinlich waren wir ihm sympathisch, aber das durfte er nicht laut sagen.“ Tichy’s Freundschaft mit Sven Hedin bezieht sich auf dessen Forschungsreisen zum Kailash und zum Manasarowar See, von politischen Verbindungen keine Rede (Tichy: Zum heiligsten Berg der Welt.) Tichy als „Berghippie“ zu bezeichnen, der „sich als 8oooer Erstbesteiger präsentiert“ ist einfach nur dümmlich. Bekanntlich hat er den Cho Oyu mit bescheidensten Mitteln erstbestiegen, was ihm weltweit Anerkennung gebracht hat (Tichy: Cho Oyu, Gnade der Götter). Das Interesse des humanistisch gebildeten, feinsinnigen und humorvollen Herbert Tichy galt fremden Ländern und Kulturen und den dort lebenden Menschen, über die er nie wertend oder gar abwertend berichtet hat. Eine Nähe zum Nationalsozialismus findet sich in keinem seiner Bücher.
Es ist ja in Österreich ein gewisser Volkssport geworden, Persönlichkeiten, die in der NS Zeit unter unvorstellbaren Bedingungen gelebt und gearbeitet haben, aus heutiger Sicht besserwisserisch zu verurteilen. Besonders leicht ist das bei Personen, die nicht mehr leben und keine Stellung beziehen können. Von einem „Journalisten“, der in einer österreichischen Tageszeitung berichtet, wäre allerdings ein wertfreier Beitrag zu erwarten. Vielleicht sollte Herr Lehner einmal ein Buch von Tichy lesen.
Prof. Dr. Herwig Frisch, Dr. Hannes Pflaum, Dr. Verena Kienast
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Antwort von Gerald Lehner:
In ihrem Brief an den „Standard“ schreiben Dr. Herwig Frisch, Dr. Johannes Pflaum und Dr. Verena Kienast vom Tichy-Verein „Götterberge“, ich hätte in Bezug auf die NSDAP-Vergangenheit des Wiener Bergsteigers, Geologen, Journalisten und Autors Herbert Tichy „schlampig recherchiert“. Ich weise diese aus der Luft gegriffene Behauptung vehement zurück. Jede Zeile meines „Standard“-Artikels ist belegbar durch Forschungsergebnisse des Wiener Historikers Hannes Stanik: In einem Schreiben vom 18. März 1940 des Mitgliedschaftsamtes der NSDAP an Erich Schulze, den Gauschatzmeister des Gaues Wiens der NSDAP, wird festgehalten: „In Bearbeitung des mit Laufschreiben Nummer 6065 vorgelegten Erfassungsantrags des Parteigenossen Herbert Tichy teile ich mit, dass der Genannte laut den Eintragungen in der Reichskartei am 26.11.1932 unter der Mitglieds-Nummer 1 308 596 bei der Ortsgruppe Wien-Währing mit der Anschrift: Wien 18, Hockegasse 95 in die NSDAP. aufgenommen wurde …“ In der Folge ging es im Schriftverkehr der NSDAP mit Tichys Vater nach dem „Anschluss“ von 1938 darum, ob es eine lückenlose Bezahlung der Mitgliedsbeiträge gab. Tichys Vater – ebenfalls in der NSDAP – verwies gegenüber Berliner Parteiführern darauf, dass sein Sohn bei seinem mehrmonatigen Aufenthalt in Alaska (1938) auch in den USA im Sinn der NSDAP „aufklärend“ gewirkt habe. Dazu kommen Herbert Tichys fast 700 Zeitungsberichte aus Ostasien für Nazi-Medien, in denen er bis 1945 seine Propaganda für Japans Faschisten und den deutschen Nationalsozialismus machte – gegen Australier, Briten und Amerikaner.
Die saubere wissenschaftliche und nüchterne Dokumentation des Historikers Hannes Stanik in Zweifel bzw. sprachlich in den Schmutz zu ziehen – wie Dr. Frisch und seine Kollegen das in ihrem Brief an den „Standard“ tun, das erfordert Mut zur Unklarheit und Esoterik. Wer Fakten nicht lesen will und sie offenbar auch nicht einordnen kann oder will, muss alles glauben. Es ist aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht zudem lesenswert, wie sich Dr. Frisch und Kollegen ihren Tichy weiterhin schönreden bzw. schönschreiben. An den Fakten vorbei. Dass der Wiener Tichy-Weg auf der Liste möglicher Umbenennungen im Straßen- bzw. Wegsystem der Stadt Wien steht: Ist das auch eine „verleumderische“ Aktion der Stadtpolitik? Staniks Inhaltsanalyse der fast 700 Zeitungsberichte Tichys aus dem von den Faschisten Japans terrorisierten China spricht für sich. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Idealistische Blickwinkel unbeirrt beizubehalten – wie es der Wiener Tichy-Fan-Verein offenbar tut – zählt zu den grundlegenden Freiheiten. Andererseits sollten die Verehrer bitte akzeptieren, dass andere (einstige) Tichy-Fans (wie ich) zu anderen Erkenntnissen kommen. Dr. Frisch wirft mir im „Standard“ auch vor, ich würde Tichys Werk nicht kennen. Ich habe nahezu alle seine Bücher in Besitz. Ich habe auch mehrfach über Tichy (immer positiv) publiziert, meine früheren Einschätzungen mittlerweile aber revidiert. Ich habe als früherer Techniker und Lehrer im Khumbu in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet und kannte noch alte Sherpas, die ihn gut kannten. Selbst bin ich zwei Mal illegal über den Nangpa La nach Tibet auf seinen Spuren gegangen. Für die große Alpinismus-Ausstellung „Der Berg ruft!“ habe ich in Wien Tichys (vermutlich von ihm selbst politisch-historisch gesäuberten) Nachlass vor fast 15 Jahren aufgearbeitet und dokumentiert. Schon damals gab es für mich Fragezeichen, die Kollege Stanik später genau herausgearbeitet hat. Aus der Community der unkritischen Tichy-Verehrer und Lobhudler habe ich mich schon vor Jahren ausgeklinkt.
Gerald Lehner, Journalist und Autor