NSDAP: Herbert Tichy „seit 26. November 1932“ in der Partei
In ihrem Brief an den „Standard“ schreiben Dr. Herwig Frisch, Dr. Johannes Pflaum und Dr. Verena Kienast vom Tichy-Verein „Götterberge“, ich hätte in Bezug auf die NSDAP-Vergangenheit des Wiener Bergsteigers, Geologen, Journalisten und Autors Herbert Tichy „schlampig recherchiert“. Ich weise diese aus der Luft gegriffene Behauptung vehement zurück. Jede Zeile meines „Standard“-Artikels ist belegbar durch Forschungsergebnisse des Wiener Historikers Hannes Stanik: In einem Schreiben vom 18. März 1940 des Mitgliedschaftsamtes der NSDAP an Erich Schulze, den Gauschatzmeister des Gaues Wiens der NSDAP, wird festgehalten: „In Bearbeitung des mit Laufschreiben Nummer 6065 vorgelegten Erfassungsantrags des Parteigenossen Herbert Tichy teile ich mit, dass der Genannte laut den Eintragungen in der Reichskartei am 26.11.1932 unter der Mitglieds-Nummer 1 308 596 bei der Ortsgruppe Wien-Währing mit der Anschrift: Wien 18, Hockegasse 95 in die NSDAP. aufgenommen wurde …“ In der Folge ging es im Schriftverkehr der NSDAP mit Tichys Vater nach dem „Anschluss“ von 1938 darum, ob es eine lückenlose Bezahlung der Mitgliedsbeiträge gab. Tichys Vater – ebenfalls in der NSDAP – verwies gegenüber Berliner Parteiführern darauf, dass sein Sohn bei seinem mehrmonatigen Aufenthalt in Alaska (1938) auch in den USA im Sinn der NSDAP „aufklärend“ gewirkt habe. Dazu kommen Herbert Tichys fast 700 Zeitungsberichte aus Ostasien für Nazi-Medien, in denen er bis 1945 seine Propaganda für Japans Faschisten und den deutschen Nationalsozialismus machte – gegen Australier, Briten und Amerikaner.
Die saubere wissenschaftliche und nüchterne Dokumentation des Historikers Hannes Stanik in Zweifel bzw. sprachlich in den Schmutz zu ziehen – wie Dr. Frisch und seine Kollegen das in ihrem Brief an den „Standard“ tun, das erfordert Mut zur Unklarheit und Esoterik. Wer Fakten nicht lesen will und sie offenbar auch nicht einordnen kann oder will, muss alles glauben. Es ist aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht zudem lesenswert, wie sich Dr. Frisch und Kollegen ihren Tichy weiterhin schönreden bzw. schönschreiben. An den Fakten vorbei. Dass der Wiener Tichy-Weg auf der Liste möglicher Umbenennungen im Straßen- bzw. Wegsystem der Stadt Wien steht: Ist das auch eine „verleumderische“ Aktion der Stadtpolitik? Staniks Inhaltsanalyse der fast 700 Zeitungsberichte Tichys aus dem von den Faschisten Japans terrorisierten China spricht für sich. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Idealistische Blickwinkel unbeirrt beizubehalten – wie es der Wiener Tichy-Fan-Verein offenbar tut – zählt zu den grundlegenden Freiheiten. Andererseits sollten die Verehrer bitte akzeptieren, dass andere (einstige) Tichy-Fans (wie ich) zu anderen Erkenntnissen kommen. Dr. Frisch wirft mir im „Standard“ auch vor, ich würde Tichys Werk nicht kennen. Ich habe nahezu alle seine Bücher in Besitz. Ich habe auch mehrfach über Tichy (immer positiv) publiziert, meine früheren Einschätzungen mittlerweile aber revidiert. Ich habe als früherer Techniker und Lehrer im Khumbu in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet und kannte noch alte Sherpas, die ihn kennenlernten. Ich bin – illegal – über den Nangpa La im Himalaya-Hauptkamm nach Tibet und zurück auf seinen Spuren gegangen. Für die große Alpinismus-Ausstellung „Der Berg ruft!“ habe ich in Wien Tichys (vermutlich von ihm selbst politisch-historisch gesäuberten) Nachlass vor fast 15 Jahren aufgearbeitet und dokumentiert. Schon damals gab es für mich Fragezeichen, die Kollege Stanik später genau herausgearbeitet hat – aus anderen Teilen des Nachlasses. Aus den Glaubensgemeinschaften und Personenkulten der unkritischen Tichy-Verehrer und Lobhudler habe ich mich schon vor Jahren ausgeklinkt. Die Beweihräucherung ist eine Anbetung von Asche, Monotonie und alpinistische Brauchtumspflege, kein zeitgemäßer Zugang zur Geschichte des Bergsteigens und des Zweiten Weltkrieges.
Gerald Lehner