Was Tichy zwischen 1940 und 1944 aus China als Journalist an Berichten, Reportagen und Analysen für Zeitungen und Magazine in Deutschland ablieferte, das wurde nach Bekanntwerden (2009) für viele seiner Fans zum harten Schlag in die Magengrube. Der Wiener Historiker und Geograf Hannes Stanik hat dieses lange verschüttete Material in den letzten Jahren ausgewertet. Er weist darauf hin, dass Tichy seine Texte einst der japanischen Militärzensur vorlegen musste. Nach Freigabe wurden sie von Peking nach Tokio gefunkt und von dort nach Berlin, wo sie ein weiteres Mal von der Zensur begutachtet wurden. Das schloss natürlich aus, dass Tichy unabhängig berichten konnte – wenn er es denn gewollt hätte. Historiker Stanik stuft die Bereitschaft bei einem NSDAP-Genossen als gering ein und fügt hinzu, der Reporter musste sich mit diesen Zuständen auch persönlich identifizieren. Sonst hätte er nicht selbstgewählt und so lange als Korrespondent gearbeitet. Tichy war einer der wenigen Journalisten aus Europa, dessen Berichte beiden faschistischen Apparaten gut ins Konzept passten. Sonst wäre nicht so viel publiziert worden.
Was lieferte er in diesen Jahren?
Herbert Tichy skizziert ein Machtgefüge, Politik- und Menschenbild, das bei den Machthabern erwünschter kaum sein konnte. Den japanischen Eroberungskrieg in Ostasien und weiten Teilen des Pazifik sieht er als Schaffung eines neuen „Wohlstandsgebietes“ unter Führung Japans, das „neue Asien“, wo „jüdische Plutokraten“ (Tichy), Amerikaner, Briten, Franzosen und Holländer nun nicht mehr das Sagen hätten. Dass der japanische Rassenwahn, ähnlich wie der deutsche, in Südost- und Ostasien zu Völkermorden, von höchsten Stellen befohlenen und unermesslichen Kriegsverbrechen führte, kommt in seinen Berichten nicht vor. Im Gegenteil: Tichy überhöht eine aus seiner Sicht positive Rolle Japans, die nun zur Modernisierung weiter Teile des mittelalterlich rückständigen China beitrage. Japan, Deutschland und Italien, die „Achsenmächte“ seien überhaupt die Motoren der neuen Zeit, schreibt Tichy und verweist immer wieder positiv auf „Adolfs Hitlers neues Europa“.
Lob auf Hitlers „neues Europa“
Bei den Rohstoffen seien die Achsenmächte zwar „Habenichtse“, würden aber nun den brutalen Kolonialmächten Großbritannien und USA („Habende“) durch den Krieg die Reichtümer abnehmen und in Europa und Asien neue Wohlstandssphären schaffen. Der Wiener sah darin eine grundlegende Gerechtigkeit. Zudem erfüllt Tichy seine Rolle als Propagandist im Krieg, indem er wieder auf die angebliche Zerstrittenheit innerhalb des alliierten Bündnisses hinweist. Die Amerikaner würden den Briten auch schon bald Australien und Indien abjagen wollen, und alles unter dem Deckmantel ihres Krieges gegen das nun mit Recht aufstrebende Japan, so Tichy. Dass sich die Australier – nach dem japanischen Überfall auf ihre Hafenstadt Darwin und vielerlei Massaker in benachbarten Staaten – über jede amerikanische Unterstützung freuten, kommt bei Tichy in keiner Zeile vor. Seine Aufgabe war, den „Feind“ zu schwächen, liest man in der Studie über seine Zeitungsartikel.
NSDAP: „Herbert Tichy seit November 1932 in der Partei“
Historiker und Geograf Stanik hat auch den Briefverkehr der NSDAP mit der Familie Tichy in Wien ausgewertet. In einem Schreiben vom 18. März 1940 des Mitgliedschaftsamtes der NSDAP an Erich Schulze, den Gauschatzmeister des Gaues Wiens der NSDAP, wird festgehalten: „In Bearbeitung des mit Laufschreiben Nummer 6065 vorgelegten Erfassungsantrags des Parteigenossen Herbert Tichy teile ich mit, dass der Genannte laut den Eintragungen in der Reichskartei am 26.11.1932 unter der Mitglieds-Nummer 1 308 596 bei der Ortsgruppe Wien-Währing mit der Anschrift: Wien 18, Hockegasse 95 in die NSDAP. aufgenommen wurde …“ In der Folge ging es im Schriftverkehr der NSDAP mit Tichys Vater nach dem „Anschluss“ von 1938 darum, ob es eine lückenlose Bezahlung der Mitgliedsbeiträge gab.
Tichys Vater Hans, selbst ein früher Unterstützer der Nazis, schrieb der Parteileitung, sein Sohn habe bereits seit 1932 auch in der SA gedient, der „Sturmabteilung“, (die – nebenbei bemerkt – für den Straßenterror zuständig war). Das dürfte der alte Tichy als zusätzliche Anbiederung erwähnt haben. Es ist für viele Kenner von Herbert Tichy unvorstellbar, dass sich ihr Idol auch als Schläger betätigt haben könnte. Er galt seit Jugendzeiten als Charmeur, war hochintelligenter Sohn einer Unternehmerfamilie und hatte primitiven Straßenkampf nicht nötig, um nach oben zu kommen. Vater Tichy wies in seinem Schreiben an die Berliner NSDAP auch auf die Auslandstätigkeit seines Sohnes von 1938 in Alaska hin. Herbert habe auch in den USA immer wieder „aufklärend für den Nationalsozialismus“ gewirkt. Das wirkt angesichts seiner späteren Propaganda aus Asien glaubwürdig.
Unpolitische Unterhaltungsliteratur im Wirtschaftswunder
Seine Vorliebe für Hitler und Japans Faschisten kehrte Herbert Tichy nach dem Krieg mit Erfolg unter den Teppich. Auch dem Autor dieser Zeilen, der im Jahr 2000 große Teile von Tichys Nachlass durchforsten und auflisten konnte, blieb seine politische Rolle als NSDAP-Mitglied seit 1932 und als Korrespondent für braune Zeitungen verborgen. Es passte ins neue Bild: Als Bestseller- und Jugendbuch-Autor belieferte Tichy nach 1945 die – selbst perfekt auf Gedächtnislücken spezialisierte – Nachkriegsgesellschaft im Wirtschaftswunder mit spannenden und „unpolitischen“ Reiseberichten und Alpinismus-Reportagen. Er brachte auch ein Buch über Alaska heraus, wo er 1938 fast ein ganzes Jahr verbracht hatte. Seine journalistische Unterwürfigkeit gegenüber Rassisten-Regimen hatte ausgedient. Tichy verwies positiv auf die Tatsache, dass es in Alaska zahlreiche Mischehen zwischen „Weißen“, „Eskimos“ (Inuit) und Indianern gebe. Und bewundernd beschreibt er nun als Modernist eine Lehrerin, die keine Röcke trage und sich stattdessen emanzipiert und in sportlichen Hosen um ihr Schlittenhundegespann kümmere.
Wie Harrer ein brauner Wegbereiter
Tichys Buch über Alaska gefiel auch dem Autor dieser Zeilen so gut, dass er 2004 im Jahrbuch des Österreichischen und Deutschen Alpenvereins darüber einen großen Beitrag publizierte, der aus heutiger Sicht desaströs ist. Tichy wird darin als Menschenfreund geschildert, dem jeder Rassismus fremd gewesen sei. Und der sich damit meilenweit vom Mainstream seiner Zeit unterschieden habe. Alles Unsinn, wie die neueren Forschungen von Hannes Stanik zeigen. In neuem Licht erscheint nun auch Tichys lange Freundschaft mit dem Tibetforscher Sven Hedin aus Schweden, der dort – als großer Fan Hitlers – früh zur Unperson mutierte. Hedin eröffnete mit Himmler 1943 im Salzburger „Haus der Natur“ die Tibetschau des SS-Kriegsverbrechers Bruno Beger. Ein paar Jahre zuvor hatte Hedin das KZ Sachsenhausen bei Berlin als eine Art Sanatorium gepriesen.
Ergänzende Lesetipps:
Stanik, Hannes: Der geopolitische Blick in den journalistischen Arbeiten von Herbert Tichy 1940 – 1944. Diplomarbeit der Universität Wien. 2009.
Lehner, Gerald: Wie Herbert Tichy fast ein Eskimo geworden wäre. In: Alpenvereinsjahrbuch. Innsbruck & München 2004.
Lehner, Gerald: Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer. Verlag Czernin. Wien 2007.
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